
Der Untergang der Islamischen Republik im Spiegel militärischer Krisen
Der Irak-Iran-Krieg endete vor 37 Jahren. Bis zum 13. Juni 2025 war dies der letzte „Krieg“, in den der Iran direkt involviert war. Die folgende Grafik illustriert die direkten militärischen Konflikte des Iran während der Ära der Islamischen Republik, abzüglich jener Konflikte, bei denen iranische Stellvertreterakteure im Vordergrund standen und weder iranische Truppen beteiligt waren, noch Angriffe aus dem Iran heraus oder gegen iranisches Territorium durchgeführt wurden.

Diese Grafik, in der Konflikten wie dem Iran-Irak-Krieg oder dem Iran-Israel-Krieg ein höheres Gewicht beigemessen wurde als begrenzten Operationen wie dem Raketenbeschuss der Kurdischen Autonomieregion im Irak,* zeigt, dass sich die Islamische Republik nach dem Ende des Iran-Irak-Krieges zunächst in einem konsolidierenden Prozess befand, der im Jahr 2011 seinen Stabilitätshöhepunkt erreichte. Dabei ist freilich zu betonen, dass Regimesicherheit nicht mit der Sicherheit der Bevölkerung gleichgesetzt werden darf. Seitdem jedoch geriet das System zunehmend in außer Kontrolle geratene Konflikte und schlitterte allmählich in eine Phase wachsender Unsicherheit zurück. Seit dem Jahr 2024 befindet sich die Islamische Republik in einer militärischen Zwangslage, die nur mit den letzten beiden Jahren des Iran-Irak-Krieges vergleichbar ist, als sie gleichzeitig mit den Vereinigten Staaten im Persischen Golf und mit der irakischen Armee an den Landesgrenzen konfrontiert war.
Ein weiteres Indiz für die prekärste Lage der Islamischen Republik seit der Revolution ist die Zunahme militärischer Auseinandersetzungen, deren Eskalation vom Status begrenzter Operationen in die Phase offener Kriegshandlungen übergegangen ist, sowie die Umkehrung der Kriegsdynamik: Die Islamische Republik sieht sich nicht länger mit schwachen regionalen Akteuren wie der Kurdischen Autonomieregion, dem kriegszerstörten Syrien oder dem militärisch unterentwickelten IS konfrontiert, die nur einseitig geschwächt wurden und nicht zur Gegenwehr fähig waren. Angesichts der Angriffe durch Israel, die USA und selbst Pakistan befindet sich das Regime mittlerweile in der Defensive und hat Friedensangebote aus einer Position der Schwäche heraus akzeptiert.
Man darf nicht übersehen, dass dieser Befund sich nicht ausschließlich auf die militärische Dimension der Macht der Islamischen Republik konzentriert, also etwa die finanzielle Insolvenz, die stetig zunehmenden Terrorakte im Inland, die diplomatische Isolation, die Umweltkrise sowie das Erstarken der Opposition nicht berücksichtigt, sondern dass er selbst im militärischen Kontext wesentliche Niederlagen wie den Sturz Assads oder das Schwächerwerden iranischer Stellvertreter wie Hisbollah und Hamas unberücksichtigt lässt. Die Analyse beschränkt sich lediglich auf direkte Interventionen iranischer Streitkräfte oder Operationen, die von iranischem Territorium ausgingen oder dort ausgeführt wurden. Wäre der Blick weiter gefasst, würde sich die existenzielle Krise des Regimes noch deutlicher offenbaren. Anders ausgedrückt, unter Zusammenführung verschiedener Krisenelemente lässt sich eine systemische Krise, in diesem Sinne der De-facto-Niedergang der Republik, erkennen. Daher erscheint es berechtigt, zu argumentieren, dass eine politische Deutung der Außenpolitik der Islamischen Republik, nicht ökonomische Erklärungsansätze, etwa regionale Konkurrenz über Transportkorridore oder Maßnahmen zur Schwächung des Dollars durch Ölexport in Nicht-Dollar-Währung, oder geopolitische Argumente, zum Beispiel die Annahme, jeder iranische Staat würde womöglich eine Atombombe bauen oder Stellvertreterkräfte fördern, Vorrang verdient. Diese Analyse zeigt: Die Außenpolitik der Islamischen Republik ist eine Fortsetzung ihrer Innenpolitik, doch ihre Innenpolitik ist nicht umgekehrt von der Außenpolitik bestimmt. Anders gesagt bedeutet das: Der aggressive, ausgrenzende und gesetzeswidrige Kurs, sichtbar im Bruch der Verfassungsnormen, in der Missachtung der Menschenrechte, in der Störung gesellschaftlich gewachsener Konventionen und im Verwerfen politischer Rationalität, spiegelt sich auf der internationalen Ebene wider, in der Destabilisierung der Nachbarstaaten, dem Aufbau paralleler, mitunter terroristischer Strukturen, der Durchführung terroristischer Operationen, dem Verhindern der Normalisierung früherer Feindschaften und der Behinderung globaler Handelswege. Doch zugleich führen die außenpolitischen Niederlagen, Kompromisse, Verhandlungen und Deals des Regimes keineswegs zu Zugeständnissen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern oder gar zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Beispiele wie die hastig durchgeführten Hinrichtungen, nur wenige Tage nach einer Waffenruhe, zeigen vielmehr, dass das Regime damit das brüchige staatliche Gewaltmonopol wiederherzustellen versucht. Ob es außenpolitisch Erfolge oder Rückschläge erleidet, letztlich resultieren beide Szenarien in einem verstärkten Druck auf die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft.
Mit anderen Worten, die Islamische Republik ist nicht mit dem Iran gleichzusetzen. Sie gestaltet ihre Außenpolitik zu dem einen Zweck, sich selbst zu sichern, und auf genau dieselbe Weise verhält sie sich gegenüber dem Iran, den sie für ihre Selbsterhaltung instrumentalisiert. Angesichts eines Regimes, das in seiner Struktur an eine apokalyptische Sekte erinnert und dabei nicht nur das Gemeinwesen, sondern auch seine eigene Bevölkerung und das physische wie kulturelle Erbe des Landes verschlingt, bedeutet es eine gefährliche Appeasement-Politik, wenn man sich unter dem Deckmantel eines pazifistischen Gestus gegen Krieg positioniert und die Zerschlagung dieses Systems mit einer existenziellen Bedrohung Irans gleichsetzt. Eine solche Haltung läuft nicht nur auf die Relativierung des destruktiven Wesenskerns der Islamischen Republik hinaus, sondern macht sich, bewusst oder unbewusst, zum Werkzeug der strategischen Desinformationsarchitektur ihrer Sicherheitsapparate. Im Gegenzug gerät die gegenwärtige amerikanische Fixierung („Americenterism“) in den politischen Entscheidungsprozessen der USA erneut in den Verdacht, die Bevölkerung Irans und des gesamten Nahen Ostens in einen Kreislauf von Schmerz und Leid zu stürzen. Wie der französische Iran-Experte Clément Therme1 treffend hervorhebt, agieren die USA in ihrer Iran-Politik stets auf Grundlage eines eigenen Selbstbildes und nicht im Bewusstsein für die tatsächlichen Realitäten iranischer Herrschaft und Gesellschaft.
So strebte etwa die Regierung Bush mit allzu vereinfachtem Regime-Change-Ansatz nach einer Demokratisierung im Irak und in Afghanistan, ohne dabei je auf das tatsächliche bürgergesellschaftliche Interesse dieser Länder Rücksicht zu nehmen. Die Neokonservativen blieben hartnäckig in ihrer Verblendung, weil ihr „Projekt“ dies verlangte. Die Regierung Obama versuchte, sich durch das bewusste Ignorieren des iranischen Volkswillens während der Grünen Bewegung sowie das Schweigen zu systematischen Menschenrechtsverbrechen als Gegenmodell zur Administration Bush und als eine auf Dialog ausgerichtete Regierung zu präsentieren. Ihre außenpolitischen Entscheidungen basierten primär auf parteipolitischen und ideologischen Kalkülen der innenpolitischen Machtverhältnisse in den Vereinigten Staaten und nicht auf einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den realen Entwicklungen im Iran, obgleich sie in Libyen und Syrien letztlich denselben strategischen Fehler wie die Regierung Bush wiederholte.
Derzeit strebt die MAGA-Bewegung explizit eine Politik an, die diametral dem Kurs von Bush und Obama entgegengesetzt ist, trotz der Tatsache, dass gerade im Fall Iran eine interventionistische Haltung statt Isolation unumgänglich wäre. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass „MAGA“ nicht mit dem gesamten Trump-Regime gleichzusetzen ist. Tatsächlich ermöglichte erst unter Donald Trump dieser begrenzte militärische Schlag von Israel und den USA gegen den iranischen Staatsapparat, der zu einer weiteren Destabilisierung des Regimes führte. Frühere US-Regierungen hingegen favorisierten stets eine Politik der Beschwichtigung und vermieden militärische Konfrontationen.
Allerdings übt ein Teil der MAGA-Anhänger erheblichen Druck auf die Trump-Administration aus, eine Politik der Beschwichtigung gegenüber der Islamischen Republik zu verfolgen, begründet durch die aversive Kernmotivation, die USA nicht in neue Kriege zu verstricken. Dies birgt jedoch die Gefahr, die politische Realität im Iran zu verkennen und erneut außenpolitische Entscheidungen auf Basis US-inländischer Machtrivalitäten zu treffen. Die Behauptung, Iran drohe auseinanderzufallen oder zu einem „zweiten Irak“ beziehungsweise „Afghanistan“ zu mutieren, steht zudem in scharfem Widerspruch zur Realität des zwölf Tage andauernden Konflikts, in dem hohe Repräsentanten des Regimes und Stützpunkte der Revolutionsgarde ins Visier genommen wurden. Viel eher wird diese Warnung zu einer rhetorischen Waffe, getragen von den Propagandainstrumenten der Islamischen Republik, die geschickt Isolationisten und realistische Politikfraktionen in Washington bespielen.
In dieser Phase der Konfrontation zwischen Iran, Israel und den USA beansprucht jede der drei Mächte für sich den strategischen Sieg: Iran sieht sich als Gewinner, weil es sein Regime trotz des Krieges stabilisieren konnte, Israel rühmt sich der empfindlichen Schläge gegen die militärische Potenz der iranischen Führung, und die Vereinigten Staaten verweisen auf die erheblichen Schäden an den atomaren Einrichtungen der Islamischen Republik. Doch hinter diesen triumphalen Bekenntnissen verbergen sich ernstzunehmende Zweifel an der strategischen Durchschlagskraft jeder der beteiligten Parteien. Wie vielfach betont wurde, haben wir nicht den Frieden erreicht, sondern lediglich einen Waffenstillstand. Die Angriffe Israels und der USA mögen das Regime empfindlich getroffen haben, doch sie haben sein Schicksal nicht endgültig besiegelt. Die Islamische Republik existiert weiterhin, ähnlich einem lebenden Toten, eine Verwaltung, die sich zunehmend als unfähig erweist, das Land zu regieren und handlungsfähig zu bleiben. Die Unfähigkeit des Regimes zeigte sich schon vor dem jüngsten Krieg, durch das Ausbleiben von Corona-Impfstoffen, dramatische Engpässe bei lebenswichtigen Medikamenten, das Austrocknen des Urmia-Sees und des Zayanderud, wirtschaftlichen Kollaps sowie tägliche Wasser- und Stromausfälle. Doch der Krieg hat der iranischen Bevölkerung klar vor Augen geführt, dass unter dem aktuellen Regime nicht nur die gesundheitliche, ökologische und energetische Sicherheit nicht gewährleistet ist, sondern sogar die elementarste Form von Sicherheit, nämlich die körperliche Unversehrtheit jedes Einzelnen, nicht mehr garantiert ist.
Dies ist die zentrale Botschaft dieses Krieges für die Menschen im Iran:
“Die Islamische Republik gefährdet euer Leben.”
- “Ceasefire or Strategy? Iran–Israel Tensions Unpacked | Graduate Institute What Matters Today,” accessed July 14, 2025,
https://what-matters-today.simplecast.com/episodes/ceasefire-or-strategy-iranisrael-tensions-unpacked. ↩︎
*Um die sicherheitspolitische Stabilität der Islamischen Republik Iran im Zeitverlauf zu messen, habe ich ein gewichtetes System entwickelt, das den Grad direkter militärischer Beteiligung des Staates widerspiegelt – nicht jedoch Opferzahlen oder das Ausmaß der Zerstörung. Das System umfasst vier Kategorien: Vollumfängliche Kriege – wie der Iran-Irak-Krieg (1980–1988) und der Iran-Israel-Krieg im Jahr 2025 – erhalten einen Wert von 15, da sie eine Phase höchster Instabilität und existenzieller Bedrohung darstellen. Langfristige Auslandseinsätze iranischer Streitkräfte, insbesondere im Irak und in Syrien, werden mit 5 bewertet, während begrenzte Entsendungen, wie in den Jahren 2018–2019, mit 3 eingestuft werden. Gezielte tit-for-tat-Angriffe – darunter Raketenangriffe, grenzüberschreitende Operationen oder Marinekonfrontationen wie zwischen den USA und Iran 1987–1988 im Persischen Golf – erhalten einen Wert von 1. Dieses Modell schließt bewusst Stellvertreterkriege, Antiterroroperationen gegen nichtstaatliche Gruppen wie Jundallah oder PJAK sowie verdeckte Geheimdiensttätigkeiten aus. Das Ergebnis ist eine visuelle Darstellung der sicherheitspolitischen Stabilität bzw. Instabilität des Regimes, Jahr für Jahr, ausschließlich auf Basis direkter militärischer Aktivität des Staates. In diesem Sinne wird die Periode von 1989 bis 2012 als eine Phase sicherheitspolitischer Stabilität kodiert, in der es keine direkten staatlichen Militäreinsätze gab.