
Innenpolitische Fesselung, äußerste Vorsicht in der Außenpolitik
Innenpolitische Fesselung, äußerste Vorsicht in der Außenpolitik: Eine Analyse zum zweiten Jahrestag von „Frau, Leben, Freiheit“ und dem Entflammen des Krieges im Nahen Osten
Im September 2024 markiert die revolutionäre Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ ihr zweijähriges Bestehen. In diesem Kontext vereinigten sich Frauen, Arbeiter, Angestellte, Studierende, Lehrkräfte, Fahrer, Ladenbesitzer und religiöse Minderheiten, um im Streben nach politischen und zivilen Freiheiten, unter dem Banner von Freiheit und Patriotismus, den gewaltigsten Druck seit der Machtübernahme des Regimes der Islamischen Republik auf den Iran auszuüben.
Ein zentrales Merkmal dieser Bewegung ist die Rückkehr der Mittelschicht und der Arbeiterklasse sowie die Überwindung der Kluft zwischen Zentrum und Peripherie. Gleichzeitig manifestierte sich ein organisierter Widerstand der iranischen Diaspora, der es ermöglichte, dass die gleichzeitige Aktivität mehrerer Protestzentren im gesamten Land das Regime daran hinderte, Sicherheitskräfte aus anderen Regionen zur Unterdrückung zu entsenden. Die unmittelbare Folge dieser Situation war das hunderttägige Fortdauern der Proteste im Inland, das zu einem Rücktritt weiterer Vasallen des Regimes führte und letztlich die Entwertung und Schwächung der verbleibenden Kräfte im Regime nach sich zog.
Mit der Übertragung der politischen Legitimität von innen nach außen und dem plötzlichen Tod des Präsidenten – der durch manipulierte Wahlen ins Amt gelangt war – sowie dessen Ersatz durch eine weniger bekannte Figur in einer Wahl, an der laut Regime nur 40 % der Wahlberechtigten im ersten Durchgang teilnahmen, hat das Misstrauen und die Gleichgültigkeit der iranischen Bevölkerung gegenüber den politischen Kräften innerhalb des Regimes ihren Höhepunkt erreicht. Die oppositionellen Kräfte, die innerhalb des Landes über eine breite Unterstützung der Bevölkerung verfügen, streben eine stärkere Organisierung an. Im Gegensatz dazu versuchen die Parteien, die diese Unterstützung nicht genießen, Stimmen unter ausländischen Politikern und Lobbyisten zu gewinnen, insbesondere im Westen.
Angesichts der politischen Konstellation, der Leere der Staatskasse, der weitreichenden Migration von Eliten und Arbeitskräften sowie der fehlenden wissenschaftlichen, strategischen und wirtschaftlichen Verbindungen zu entwickelten Ländern scheint das Reformprogramm der Regierung von Massoud Pezeshkian geringe Erfolgschancen zu haben. Diese Initiative könnte als Versuch gewertet werden, einen leblosen Körper mit künstlichem Atem wiederzubeleben.
Die instabile Situation wird umso prekärer, da der Führer des Regimes der Islamischen Republik 85 Jahre alt ist und ein schleichender, heimlicher Wettlauf um seine Nachfolge im Gange ist. Diese Dynamik unterstreicht die Fragilität des gegenwärtigen politischen Systems und die Dringlichkeit eines Wandels.
Die Entscheidung des Regimes der Islamischen Republik, Russland im Krieg gegen die Ukraine mit Waffen zu unterstützen, hat Iran zu einem erheblichen prestige- und ansehensbezogenen Problem für die Biden-Harris-Regierung werden lassen. Diese Entwicklung stellt eine kritische Herausforderung dar, da der Konflikt für die Vereinigten Staaten von strategischer Bedeutung ist.
Die direkten Angriffe zwischen Israel und Iran sowie die Eskalation des Krieges im Nahen Osten – insbesondere mit dem offiziellen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah und dem Austausch von Feuer zwischen den Huthis im Jemen, einer weiteren Stellvertretergruppe des Regimes – erhöhen das Risiko einer direkten US-Intervention und könnten das Szenario von Irak und Afghanistan wiederholen.
Die Außenpolitik der Islamischen Republik, die sich der eigenen Unfähigkeit bewusst ist, in einem klassischen Krieg gegen globale Mächte zu bestehen, hat konsequent eine direkte Konfrontation mit den USA vermieden.
In dieser defensiven Position meidet das Regime sogar das Anrufen eines causus belli, selbst im Angesicht der Tötung hochrangiger Militär- und Diplomatenvertreter, sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Grenzen.
Dies verdeutlicht die fragilen geopolitischen Dynamiken, in denen sich das Regime bewegt, und die wachsenden Gefahren, die sowohl für Iran als auch für die internationale Stabilität entstehen.
Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten haben für die Führung der Islamischen Republik Iran eine überragende strategische Bedeutung. Die beiden konkurrierenden Wahlkampagnen verkörpern nicht nur diametral entgegengesetzte Visionen zur Rolle Amerikas in der globalen Ordnung, sondern markieren auch eine tiefgreifende Neuausrichtung der politischen Parameter im Inneren der USA. Auf der einen Seite stehen die erfahrenen Akteure des außenpolitischen Apparats der USA, die entschlossen sind, den militärischen Konflikt in der Ukraine weiter zu eskalieren, die wachsende geopolitische Macht Chinas durch gezielte Eindämmungsstrategien zu beschränken und Iran als primär Verantwortlichen für die Lieferung ballistischer Raketen an Russland sowie für den Angriff auf Israel am 7. Oktober darzustellen.
Der Ex- Präsident Trump und viele seiner Unterstützer sprechen von einem sogenannten “tiefen Staat” innerhalb der staatlichen Institutionen, der die USA in endlose Konflikte verstrickt. Ihr erklärtes Ziel ist es, diese vermeintliche Kriegsmaschinerie zu stoppen. Abseits der Wahlkampfbühne vertreten einige glühende Trump-Anhänger sogar zunehmend eine kritische Haltung gegenüber Israel und sind der Überzeugung, dass die mächtige Israel-Lobby entgegen den nationalen Interessen der USA agiert und das Land in einen Krieg mit dem Iran zwingen will. Gleichzeitig sieht sich die Islamische Republik, die stark auf Trumps Abwahl und eine Lockerung der Sanktionen unter einer demokratischen Regierung gesetzt hatte, in einem gefährlichen sicherheitspolitischen Strudel gefangen. Mit Kamala Harris im Weißen Haus und den kriegstreibenden Kräften in den Außen- und Sicherheitsbehörden droht sich die Situation für den Iran dramatisch zuzuspitzen, möglicherweise bis hin zu einem direkten militärischen Konflikt.
Die Führung der Islamischen Republik, die einen erheblichen strategischen Einsatz daraufgesetzt hatte, dass Trumps Abwahl im Jahr 2020 eine Lockerung der gegen das Land verhängten Sanktionen zur Folge haben würde, sieht sich nun mit einer weitaus komplexeren und gefährlicheren sicherheitspolitischen Lage konfrontiert. Sollte Kamala Harris das Amt der Präsidentin übernehmen, könnten jene kriegstreiberischen Kreise innerhalb der außen- und sicherheitspolitischen Institutionen der USA freie Hand erhalten, militärische Optionen gegen Iran in Erwägung zu ziehen. Die Entscheidungsträger in Teheran befinden sich inmitten eines sicherheitspolitischen Strudels, der das Überleben des Regimes in einer potenziell existenzbedrohenden Weise herausfordern könnte.
In diesem Kontext werden die Präsidentschaftswahlen der USA nicht nur als eine innenpolitische Richtungsentscheidung betrachtet, sondern als ein geopolitisches Schicksalsspiel, das die künftige Position Irans auf der internationalen Bühne nachhaltig prägen wird.
Die gegenwärtige Lage im Iran offenbart eindringlich die Unwilligkeit des Regimes, wirksame politische und zivile Reformen zu initiieren. Zudem zeigt sie die Unfähigkeit, eine wirtschaftliche Dynamik zu entwickeln, sowie eine tiefgreifende Krise der Legitimität und der effektiven politischen Kräfte innerhalb des Landes. In dieser Situation sieht sich das Regime einer hochriskanten Konfrontation mit Israel und den USA gegenüber, während es gleichzeitig in eine defensive Haltung verfallen ist. Dies verdeutlicht die prekäre Lage, in der das Regime sich befindet, und die Dringlichkeit für grundlegende Veränderungen.