
Der Krieg um das Dasein
In der Geschichte ideologischer Auseinandersetzungen geht es mitunter nicht um Interessen, sondern um Wesenheiten. In einem solchen Konflikt bleibt kein Raum für halbherzige Kompromisse. Der Krieg zwischen der Islamischen Republik Iran und Israel, der mit dem direkten Eintritt der Vereinigten Staaten in eine bisher ungeahnte Eskalationsstufe übergegangen ist, gehört zu dieser Kategorie: ein Konflikt, in dem beide Seiten nicht bloß geopolitische Ziele verfolgen, sondern die vollständige Verneinung der Existenz des jeweils anderen anstreben.
Die Islamische Republik hat von Anfang an ihre politische und ideologische Existenz in der „Ablehnung Israels“ und der Konfrontation mit dem Westen definiert. Die Eliminierung Israels war fester Bestandteil der offiziellen Sprache, Grundlage unzähliger institutioneller Erklärungen und Kern ihrer ideologischen Legitimitätslogik. Israel wiederum hat, in Anbetracht einer Bedrohung, die keineswegs nur rhetorischer Natur war, sondern sich in zahllosen realen Aggressionen der Islamischen Republik manifestierte, seine eigene Existenz im Rahmen einer strategischen Neutralisierung dieses Projekts verteidigt. Mit den massiven Angriffen der Vereinigten Staaten auf die iranischen Nuklearanlagen in Fordo, Natanz und anderen Schlüsselzentren hat sich dieser Konflikt in ein Stadium begeben, das weder diplomatisch kontrollierbar noch reversibel ist.
Die Ziele des Angriffs auf Iran waren im Vorfeld vollkommen klar. Es ging um die Zerstörung der Urananreicherungsinfrastruktur, die Ausschaltung beziehungsweise zumindest Schwächung und Abschreckung der militärisch offensiven Kapazitäten des Regimes sowie um die unmissverständliche Botschaft, dass ein strategischer Kurswechsel notwendig ist. Inzwischen ist offensichtlich geworden, dass es dem Westen nicht mehr bloß um Eindämmung geht, sondern um einen vollständigen Sieg. Ein Sieg, der nur durch die Unterwerfung der Islamischen Republik unter internationale Bedingungen und die Aufgabe ihres ideologischen Fundamentes verwirklicht werden kann. Die Annahme solcher Bedingungen bedeutete die Aufgabe zentraler Leitmotive wie der Vernichtung Israels, der Befreiung Palästinas und des ideologischen Erbes, das auf Konfrontation und Kriegsrhetorik fußt – ein Erbe, auf dem das gesamte System errichtet ist.
Auf der anderen Seite steht Iran, allerdings nicht im Sinne einer strukturellen Einheit oder einer legitimen Verbindung zwischen Staat und Nation im Einklang mit internationalen Normen. Iran ist ein Land mit einem widerstandsfähigen, historisch tief verwurzelten und solidarischen Volk. Doch an seiner Spitze steht seit Jahrzehnten ein Herrschaftsapparat, der sich diese Position unrechtmäßig angeeignet hat, das Volk nicht vertritt und keinerlei Eignung zur Repräsentation besitzt. Entgegen der Annahme mancher Beobachter, die Iran in einem Zustand des gesellschaftlichen Zusammenbruchs sehen, ist es in Wirklichkeit der politisch-moralische Bund zwischen Regierung und Volk, der zerfallen ist.
Daraus ergibt sich eine soziale und psychologische Doppellage. Ein Volk, das einerseits Angst vor der Zerstörung seiner Infrastruktur und vor Krieg hat, andererseits aber das politische System nicht mehr als seinen Repräsentanten anerkennt. Für einen Teil der Gesellschaft ist der Krieg mit Israel keine nationale Verteidigung, sondern die Fortsetzung eines Konflikts, in dem sich die Staatsmacht an die Stelle des Volkes gesetzt hat. Manche deuten diesen Krieg sogar als eine Form von „historischer Abrechnung“ oder „symbolischer Vergeltung“ gegenüber einer Ordnung, die sie über Jahrzehnte unterdrückt, entrechtet und ihrer legitimen Interessen beraubt hat.
Diese Konstellation hat eine Kluft erzeugt, die in der politisch-soziologischen Literatur als „Legitimitätskrise“ bezeichnet wird. Eine Situation, in der die Regierung nicht mehr in der Lage ist, die Werte und Anliegen der Öffentlichkeit durch offizielle Institutionen abzubilden, und in der ihre Beziehung zur Gesellschaft von innen heraus erodiert und sich allmählich auflöst.
In der Analyse von Jürgen Habermas tritt eine solche Krise dann ein, wenn ein politisches System nicht mehr fähig ist, soziale Kohäsion durch legale Mechanismen, Dialog und Repräsentation aufrechtzuerhalten. Und doch existieren in Iran soziale und politische Alternativen. Doch durch jahrzehntelange Repression, die Zerschlagung der Zivilgesellschaft, die Eliminierung unabhängiger Institutionen und strukturelle Gewalt ist es diesen Alternativen bislang nicht gelungen, sich wirksam zu formieren und sichtbar zu werden.
Der Angriff auf die nuklearen Einrichtungen der Islamischen Republik war nicht nur physisch, sondern auch symbolisch und strukturell. Diese Anlagen galten für das Regime als Sinnbild von Fortschritt im Angesicht der Bedrohung und als Ausdruck seiner Beständigkeit und Unverwundbarkeit. Doch ihr Verlust, inmitten fehlender gesellschaftlicher Rückendeckung, hat eine tiefere Folge: den Zusammenbruch der Symbole.
Gleichzeitig agiert Israel auf dem Fundament nationaler Geschlossenheit. Die israelische Öffentlichkeit, anders als die iranische, hegt keinen Zweifel an der Unterstützung von Regierung und Armee in diesem existenziellen Krieg, einem Krieg um das eigene Überleben. Israel ist es gelungen, die existenzielle Bedrohung in ein Instrument der Einigkeit und in eine Form nationalen Konsenses zu verwandeln. Dieser fundamentale Unterschied hat das Potenzial, das Kräfteverhältnis langfristig tiefgreifend zu verschieben.
Der Westen wiederum betrachtet Israel nicht nur als strategischen Partner, sondern als Repräsentanten der „liberal-demokratischen“ Ordnung im Nahen Osten. Diese Kongruenz zwischen innerer Legitimität und internationaler Unterstützung ist genau das, was der Islamischen Republik fehlt.
Heute spielt sich die Krise nicht allein auf dem Schlachtfeld ab, sondern vor allem im Feld der Legitimität, des sozialen Zusammenhalts und der Zukunftsfähigkeit für das iranische Volk. Der Krieg, jenseits von Grenzen und Raketen, ist Ausdruck des Zusammenbruchs eines Herrschaftsmodells, das ausschließlich durch Radikalismus, Repression und die Auslöschung der Zivilgesellschaft aufrechterhalten wurde. Zwar behalten militärische Stärke, intelligente Waffensysteme und Abschreckungspotential weiterhin zentrale Bedeutung in den geopolitischen Konstellationen. Doch ohne gesellschaftliche Rückbindung und innere Legitimität fehlt diesen Machtinstrumenten jede strategische Tiefe und historische Tragfähigkeit.
Am Ende wird aus dieser schweren Krise jene Kraft emporsteigen und Bestand haben, die das Volk zu repräsentieren vermag, die eine gemeinsame Zukunft zu entwerfen imstande ist und die Legitimität von Macht auf der Grundlage von Zustimmung und Wahl erneuert. Und jene, die diese Fähigkeit verloren haben, selbst wenn sie bewaffnet sind, werden weder im Gedächtnis des Volkes bleiben noch in das Gedächtnis der Geschichte eingehen.