Abraham-Abkommen erreichen Zentralasien
Die geopolitische Ausdehnung der Abraham-Abkommen über den Nahen Osten hinaus
Die Abraham-Abkommen haben sich von einem regionalen Verständigungsprojekt zu einem Instrument globaler Machtverschiebung entwickelt. Mit dem Beitritt Kasachstans überschreiten sie erstmals die geografischen und politischen Grenzen des Nahen Ostens und treten in den strategisch sensiblen Raum Zentralasiens ein. Diese Entwicklung ist kein bloß symbolischer Vorgang, sondern Ausdruck einer tiefgreifenden Neuausrichtung westlicher Politik im eurasischen Kontext. Kasachstan, ein turksprachiges und mehrheitlich muslimisches Land mit einer Schlüsselstellung zwischen Russland, China und dem Kaspischen Meer, erlangt dadurch eine geopolitische Relevanz, die weit über seine nationale Dimension hinausreicht.
Ursprünglich sollten die Abraham-Abkommen Israels diplomatische Normalisierung mit der arabischen Welt fördern und auf diese Weise seine regionale Legitimität festigen. Heute jedoch fungieren sie als Ausdruck einer neuartigen westlichen Diplomatie, die sich vom Mittelmeer über den Persischen Golf bis in die zentralasiatischen Ebenen erstreckt. Nach einer Analyse des Atlantic Council betrachtet Washington die Ausweitung dieser Struktur als ein Instrument zur Errichtung eines politischen und sicherheitsbezogenen Einflussraums von der Levante bis zum Kaspischen Becken. Dieses System soll zugleich den Einfluss Russlands und Chinas begrenzen und den Kern einer westlich orientierten Ordnung, verkörpert durch Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Vereinigten Staaten, sichern.
Auch für Europa ergibt sich aus dieser Entwicklung eine strategische Chance. Seit dem Krieg in der Ukraine sucht die Europäische Union mit zunehmender Dringlichkeit nach alternativen Energiequellen und neuen Transportwegen. Kasachstan, ausgestattet mit reichen Erdöl- und Uranvorkommen sowie weiteren Rohstoffressourcen, kann dabei zu einem zentralen Partner werden. Nach Einschätzung der Zeitung Financial Times steht der Beitritt Kasachstans für den Versuch des Westens, seine Energieversorgung zu diversifizieren und die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Zugleich eröffnet sich Europa über Zentralasien ein direkterer Zugang zu den wirtschaftlichen und logistischen Netzwerken, die bis in die Volksrepublik China reichen.
Für den Iran hingegen stellt diese Entwicklung eine subtile, aber grundlegende Bedrohung dar. Die Abraham-Abkommen zielten in ihrer Anfangsphase auf die politische Isolierung Irans innerhalb der arabischen Welt. Nun jedoch reicht ihr Einfluss bis in den Norden Irans, an die Küsten des Kaspischen Meeres und in die zentralasiatischen Republiken. Der Schritt Kasachstans von einer Politik der Neutralität hin zu einer westlich orientierten Position verändert das strategische Umfeld Teherans in signifikanter Weise. Diese Dynamik könnte mittelfristig zur Herausbildung eines westlichen Einflussbogens von der Levante über den Persischen Golf bis nach Zentralasien führen, eines geopolitischen Rahmens, der darauf abzielt, den Handlungsspielraum Irans sowohl im Nahen Osten als auch in seinem nördlichen Umfeld sukzessive zu begrenzen.
Auch wirtschaftlich steht Iran vor neuen Herausforderungen. Das Land läuft Gefahr, aus den entstehenden Energie- und Transitnetzwerken ausgeschlossen zu werden, die sich zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kasachstan entwickeln und vermutlich über den Südkaukasus oder den Kaspischen Raum mit Europa verbunden werden. Dadurch droht Iran der Verlust des Zugangs zu zentralen Korridoren, die bislang seine wirtschaftliche und geopolitische Position gestützt haben.
Schließlich haben sich die Abraham-Abkommen von einem politischen Normalisierungsprozess zu einem vielschichtigen Ordnungsrahmen entwickelt, der auf eine grundlegende Neujustierung der regionalen Machtverhältnisse abzielt. Der Beitritt Kasachstans verdeutlicht, dass diese Initiative die geografischen und politischen Grenzen des Nahen Ostens längst überschritten hat und nun als Instrument zur Neudefinition des Kräfteverhältnisses zwischen dem Westen, Russland, China und Iran fungiert. Diese Transformation vollzieht sich nicht durch militärische Konfrontation, sondern durch eine komplexe Verflechtung diplomatischer, wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Strategien.
Was im Jahr zweitausendzwanzig mit dem Ziel begann, Israels Position in der arabischen Welt zu stabilisieren, hat sich inzwischen zu einem Projekt der strategischen Konsolidierung westlicher Präsenz in Zentralasien und im Kaspischen Raum entwickelt. Für den Iran markiert dieser Wandel den Beginn einer neuen Phase geopolitischer Konkurrenz, die sich künftig in den Bereichen Energie, Technologie und regionaler Ordnung entscheiden wird.
von: Mehrnaz Haji Ali









