Warum wurde Kyros für Machiavelli bedeutsam?
Niccolò Machiavelli gilt als der bedeutendste und zugleich der früheste Denker der Renaissance und gehört zum inneren Kreis der ersten florentinischen Humanisten.
Er war ein Schriftsteller von außerordentlicher Präzision, dessen Sprache an die Arbeit eines Juweliers erinnert, der mit feinster Sorgfalt jeden Stein an seinen ihm gemäßen Ort setzt. Wie Leo Strauss treffend bemerkt hat, war Machiavelli der erste Stoß der Welle der Neuzeit, die auf das Schiff der Tradition traf.
Eines der Grundthemen, die Machiavelli in seinen beiden Hauptwerken, dem Fürsten und den Betrachtungen über die ersten zehn Bücher des Titus Livius, entfaltet, ist das Problem des Gründens und des Anfangs.
Die Philosophie der ursprünglichen Einheit und die Strategie der ersten Stiftung sind für Machiavelli von grundlegender Bedeutung, da sie im Gang der Geschichte ihre eigenen Notwendigkeiten über die Stadt und den Staat verhängen.
Machiavellis Analyse geht stets vom Handeln aus. Er beginnt mit der Darstellung der römischen Gründungsgeschichte nach Titus Livius und entwickelt daraus eine allgemeine, aber in sich vielschichtige Theorie politischen Handelns. Dabei beschränkt er sich nicht auf die Geschichte Roms, sondern verweist mehrfach auf militärische und politische Vorgänge aus den Zeiten Kyros’ und Dareios’, die er in den Betrachtungen ausdrücklich erwähnt.
Nach Machiavellis Auffassung hatte die Welt drei große Gründer: Theseus, den Stifter Athens, Romulus, den Begründer Roms, und Kyros, den Schöpfer Irans.
Im sechsten Kapitel des Fürsten nennt Machiavelli diese drei Gestalten als Beispiele für Herrscher, die durch eigene Tüchtigkeit und Tugend, durch ihre virtù, zur Herrschaft gelangten, nicht durch Zufall und nicht durch die Gunst des Schicksals, die er als fortuna bezeichnet. Das Glück, so bemerkt er, habe ihnen lediglich die Gelegenheit geboten, ihr Vermögen zur Tat zu entfalten. Ihre eigentliche Größe aber bestand darin, neue Ordnungen zu begründen, deren Bestand die Dauer des von ihnen gegründeten Staates verbürgte.
Es gebe, schreibt Machiavelli, kein schwierigeres und zugleich gefährlicheres Unternehmen als die Einführung einer neuen Ordnung, da alle, die von der alten Ordnung profitierten, notwendig zu Gegnern des Neuen werden.
Die Bedeutung solcher Gründer liegt für Machiavelli darin, dass ihr Handeln einen Maßstab für politische Erneuerung bildet. Nachahmung ist in der Sphäre des Politischen nicht erlaubt, es sei denn, sie bezieht sich auf den Akt des Gründens selbst. Denn eine Gründung kann nicht nachgeahmt werden, ohne dass man ihre innere Logik begreift, und dieses Begreifen ist selbst ein schöpferischer Akt der Gründung.
Machiavelli kehrt im Fürsten noch einmal zu Kyros zurück. An jener Stelle erklärt er mit seiner charakteristischen Übertreibung, dass ein Herrscher kein höheres Ziel haben dürfe als das Studium des Krieges, der militärischen Kunst und der Geschichte. Nach dem Krieg, so sagt er, sei die Geschichtsstudie die zweite Pflicht des Fürsten:
„Damit er die Taten großer Männer betrachte, sehe, wie sie im Krieg gehandelt haben, und die Ursachen ihrer Siege und Niederlagen erkenne, um die einen zu vermeiden und aus den anderen zu lernen, und vor allem selbst so zu handeln, wie jene großen Männer gehandelt haben.“
So wie Alexander von Achilles, Cäsar von Alexander und Scipio von Kyros lernte.
Machiavelli verweist sodann auf Xenophons Darstellung des Kyros und hebt hervor, dass jeder, der Xenophons Schrift liest, erkenne, in welchem Maß Scipio seinen Ruhm der Nachahmung Kyros’ verdankt, insbesondere in Zucht, Milde, Menschlichkeit und Freiheitsliebe, durch die er jenem Bild ähnlich geworden sei, das Xenophon von Kyros entworfen hat.
Die Bedeutung Kyros’ im politischen Denken Machiavellis liegt somit in der Logik des Gründens und in den charakterlichen Tugenden des Herrschers: in Mut, Klugheit, Reinheit und sittlicher Selbstbeherrschung, verbunden mit kriegerischer Tatkraft.
Diese Verbindung bildet, wie Machiavelli im sechsten Kapitel des Fürsten andeutet, den Kern jener einzigartigen Gründung, die das Beispiel einer wirksamen Wahrheit, der verità effettuale della cosa, darstellt:
„Da ich etwas Nützliches für denjenigen schreiben will, der zu hören versteht, schien es mir richtiger, der wirksamen Wahrheit zu folgen als der bloßen Vorstellung davon. Viele haben sich Königreiche und Republiken erdacht, die niemand je gesehen hat oder von denen nie jemand gehört hat.“ (Il Principe, Kapitel XV)

Jahrhunderte später wird Hegel den Begriff dieser wirksamen Wahrheit in seiner Philosophie vertiefen.
Für Hegel ist Wirklichkeit nicht das Zufällige und Vorübergehende, sondern das, was in sich notwendig ist und Bestand hat. In den Grundlinien der Philosophie des Rechts schreibt er:
„Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.“
Der gute Staat ist für Hegel die verwirklichte Idee der sittlichen Vernunft. In diesem Sinn betrachtet er das Reich der Achämeniden als die erste geschichtliche Erscheinung einer sittlich wirksamen Idee, einer staatlichen Ordnung, in der Vernunft und Wirklichkeit zum ersten Mal eine dauerhafte Einheit bilden.
Von hier aus führt Hegel die Linie der Weltgeschichte über Griechenland und Rom bis zu den nordischen Völkern, in denen die Idee der Freiheit ihre höchste geschichtliche Gestalt erreicht.









