
Verlorene Chancen und die Auswirkungen der islamistischen Ideologie auf Irans Stellung in der Region
Inhaltsverzeichnis
Die Ermordung von Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der Hisbollah, am 27. September 2024, und der darauffolgende Raketenangriff der Islamischen Republik Iran auf Israel am 1. Oktober haben die ohnehin schon angespannte Lage im Nahen Osten auf ein noch nie dagewesenes Niveau eskalieren lassen. Mit der Ausweitung der Kämpfe nach Libanon, dem vollständigen Kriegseintritt der Hisbollah und der drohenden Vergeltung Israels an den iranischen Grenzen verblasst die Hoffnung der internationalen Gemeinschaft auf einen Waffenstillstand immer mehr. Das Verständnis dieser Krise bedarf einer analytischen Herangehensweise, die sowohl realistische als auch konstruktivistische Ansätze miteinander verknüpft. Die übermäßige Betonung der ideologischen Dimension dieses Konflikts, wie sie in vielen Medien gängig ist, führt zu einem verfälschten und unvollständigen Bild der tatsächlichen Dynamiken.
Pragmatismus in den Beziehungen zwischen Iran und Israel vor der Revolution
Seit der Gründung Israels waren die Beziehungen zwischen dem Iran und dem jüdischen Staat weniger durch Ideologie als durch gemeinsame nationale Interessen geprägt. Schon vor der iranischen Revolution 1979 verfolgten die Aristokraten des iranischen Staates einen pragmatischen Kurs gegenüber Israel. In einer Region, die überwiegend unterentwickelt war, stellte Israel einen modernen, effizienten Verbündeten dar, der durch seine mächtige Lobby in den USA besondere Beziehungen zwischen Iran und Amerika fördern konnte. Ebenso wichtig war die Möglichkeit, durch diese Zusammenarbeit ein Gegengewicht gegen die vorwiegend arabischen Staaten zu schaffen, die territoriale Ansprüche gegen den Iran hegten. Diese pragmatische Sichtweise führte dazu, dass die iranische Elite Israel anerkannte, auch wenn sich beide Seiten der zeitlich begrenzten Natur dieser Zusammenarbeit bewusst waren. In den 1970er Jahren empfand Seine Majestät, der Schah von Iran, Mohammad Reza Pahlavi, auch Aryamehr genannt, die Unnachgiebigkeit Israels gegenüber gemäßigten arabischen Führern wie Anwar Sadat, der eine diplomatische Lösung anstrebte, als hinderlich für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten. Israel seinerseits weigerte sich, weiterhin für iranische Interessen zu lobbyieren, und startete sogar eine Propagandakampagne gegen den Iran. Trotz dieser Spannungen blieben die Beziehungen zwischen beiden Ländern weitgehend freundschaftlich, und eine breite Zusammenarbeit auf den Gebieten Handel, Industrie, Politik und Geheimdienstwesen florierte.
Ideologie und geheime Kooperationen nach der Revolution
Mit der islamischen Revolution 1979 erwartete man einen scharfen Bruch in den Beziehungen zu Israel. Viele einflussreiche Geistliche im Iran hatten sich seit der Gründung des Staates Israel gegen diesen gestellt und die damaligen Staatsmänner vor Schwierigkeiten gestellt, eine auf nationalen Interessen beruhende Beziehung zu Israel aufzubauen und es anzuerkennen. Doch was tatsächlich geschah, war eine Mischung aus verschlechterten Beziehungen und geheimen Kooperationen. Das Regime der Islamischen Republik erklärte die Nichtanerkennung Israels zu einem seiner zentralen Identitätsmerkmale und brach jegliche wirtschaftlichen, kommerziellen und diplomatischen Beziehungen zu diesem Land ab. Besonders während des Iran-Irak-Krieges arbeiteten die beiden Länder sogar bei Waffenlieferungen und Nachrichtendiensten zusammen (1) (2) (3). Die Führer der Islamischen Republik mieden es bewusst, sich in Konflikte zu verwickeln, die sie als vorwiegend arabisch-sunnitisch betrachteten. So ließ Ayatollah Ruhollah Khomeini einige Militärs, die gegen Israel im Libanon kämpfen wollten, verhaften und stellte klar, dass der Krieg gegen den Irak Vorrang habe (4). Diese Pragmatik bestimmte die Beziehungen zwischen dem Iran und Israel bis Mitte der 1990er Jahre, als das Oslo-Abkommen geschlossen wurde.
Als sich abzeichnete, dass die USA eine neue Ordnung im Nahen Osten etablieren wollten, in der Israel die Führungsrolle übernahm und der Iran als Hauptgefahr für die arabischen Staaten, insbesondere die Golfstaaten, betrachtet wurde, machte es sich die Islamische Republik zur Hauptaufgabe, diesen Plan um jeden Preis zu torpedieren. Die diplomatische, wirtschaftliche und politische Isolation, die der Iran infolge seiner Konfrontation mit den USA erlebte, ließ dem Regime wenig Spielraum für politische Verhandlungen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Militarismus und Terrorismus zu setzen, um seine Ziele zu erreichen.
Diese Ideologisierung der Politik hat das Land in ein tiefes soziales, wirtschaftliches und ökologisches Desaster geführt. Während der Iran aufgrund seiner aggressiven außenpolitischen Strategie sowohl von der internationalen Gemeinschaft als auch von seinen Nachbarstaaten zunehmend isoliert wurde, konnte sich sein regionaler Rivale, die Türkei, wirtschaftlich und militärisch stärken. Im Gegensatz zur Türkei, die ihre antiwestlichen und antizionistischen Rhetoriken auf symbolische Gesten beschränkte und gleichzeitig diplomatische, militärische und wirtschaftliche Beziehungen sowohl zum Westen als auch zum Osten aufrechterhielt, hat der Iran in den letzten vier Jahrzehnten sowohl international als auch regional an Boden verloren. Besonders alarmierend ist, dass selbst vermeintliche Verbündete der Islamischen Republik wie China und Russland in Auseinandersetzungen, beispielsweise um die iranische Souveränität über die drei Inseln im Persischen Golf, Positionen der iranischen Gegner unterstützten.
Die Ideologie der Islamischen Republik, eine toxische Mischung aus schiitischem Ummah-Nationalismus, Muslimbruderschaft-Ideologie, aggressivem Antiimperialismus und einem übersteigerten Nationalismus nach dem Vorbild von Mosaddegh und Gamal Abdel Nasser, hat das Land an den Rand des totalen Kollapses geführt. Besonders ironisch ist dabei die Tatsache, dass viele linke Bewegungen im Westen, die sich gegen liberale Demokratie, Kapitalismus und bürgerliche Rechte positionieren, in der islamistischen Ideologie einen vermeintlichen Verbündeten gefunden haben. Diese „Islamogauche“, die der Schah von Iran einst als „rote und schwarze Reaktion“ bezeichnete, unterstützt heute eine der rückschrittlichsten und destruktivsten politischen Kräfte in der Region.
Die Rolle der iranischen Diaspora als Wächter gegen die Ideologie
In diesem Kontext hat die iranische Diaspora eine besondere Rolle zu spielen. Sie sieht sich selbst als erstes Opfer dieses unheiligen Bündnisses, das den höchsten Preis bezahlt hat: den völligen Zusammenbruch eines Staates.
Die iranische Diaspora sieht es als ihre Pflicht an, die westlichen Gesellschaften vor den katastrophalen Folgen dieser Ideologie zu warnen, bevor es zu spät ist. Ihre Herausforderung besteht darin, einen schwierigen Balanceakt zu vollziehen: Einerseits Israel im Kampf gegen terroristische Organisationen wie Hamas und Hisbollah zu unterstützen, andererseits aber jede militärische Intervention gegen den Iran abzulehnen, die die nationale Souveränität, territoriale Integrität und Infrastruktur des Landes gefährden würde.
Ein umfassendes Verständnis der Dynamiken in der Region sowie der Handlungen der Hauptakteure wie Israel und der Islamischen Republik Iran, und deren Auswirkungen auf die iranische Diaspora und Nahostmigranten im Allgemeinen, erfordert eine ausgewogene Analyse, die sowohl die realistischen als auch die konstruktivistischen Perspektiven gleichermaßen berücksichtigt.
Quellen:
- by Johnathan Marshall, Peter Dale Scott, and Jane Hunter (1987). “Irangate: The Israel Connection”
- South End Press. p. p169. Retrieved 2 April 2010.
- The course of Iranian-Israel relations. Middle East Insight Nov-Dec. 1999. 39-40.
- Warum hat Imam Chomeini den Befehl zur Einstellung der Entsendung iranischer Truppen nach Syrien und Libanon erteilt?” Donya-e-Eqtesad (Wirtschaftswelt), 07.08.2020