„Der Islam war das erste Opfer des islamischen Systems, das aus der Revolution von 1979 hervorging.“
Die gegenseitigen Dienste von Islam und Iran
Inhaltsverzeichnis
Es ist bekannt, dass der verstorbene Mohammad-Hossein Tabatabai, einer der herausragenden Gelehrten der islamischen Philosophie, einst bemerkte: „Der Islam war das erste Opfer des islamischen Systems, das aus der Revolution von 1979 hervorging.“ Wenn man den Unterschied zwischen Islam und Islamismus ernst nimmt, enthält diese Aussage einen Funken Wahrheit. Doch stellt sich die Frage: Waren die Islamisten tatsächlich die einzige treibende Kraft hinter dieser ideologischen Revolution? Hatte der Islam in seiner traditionellen Form, (dessen Kern die normative Ordnung des islamischen Rechts, Fiqh, bildet), tatsächlich die Kraft, ohne die Unterstützung der Linken – jener modernen Träger einer Kampf-Ideologie, die Konzepte wie Patriotismus, Staatsräson, politische Ordnung und freie Marktwirtschaft ablehnte – das politische System Irans zu Fall zu bringen? Jener Staat, der vorsichtig und tastend die ersten wesentlichen Schritte unternahm, um die historische Rolle Irans als Nation mit einer außergewöhnlichen Geschichte und Zivilisation wiederherzustellen?
Es scheint, dass trotz der tiefgreifenden ideologischen Unterschiede zwischen Islamisten und Linken, die bald nach dem Sieg ihrer Koalition im Jahr 1979 zu blutigen Säuberungen und gegenseitigen Verfolgungen führten, ein gemeinsamer Nenner bestand, der ihren zerstörerischen Hass auf das bestehende System (zumindest theoretisch) speiste: Beide teilten eine Zugehörigkeit zu Diskursformen, die die nationalen Interessen und die politische Einheit des Nationalstaates ablehnten.
Während die Islamisten sich auf das Konzept der „einheitlichen islamischen Umma“ beriefen, stützten sich die Linken auf die Idee der „Vereinigung der unterdrückten Völker der Welt“, die unter Lenin und Stalin in der Sowjetunion mit dem „Selbstbestimmungsrecht“ ausgestattet worden war.
Doch kann man den Islam, wie ihn Mohammad-Hossein Tabatabai verstand, tatsächlich, als das einzige oder gar erste Opfer jenes Systems bezeichnen, das aus der Allianz zwischen islamischem Fundamentalismus und der Linken im Jahr 1979 hervorging?
Die Analyse der Islamischen Republik aus der Perspektive ihres Verhältnisses zum „Politischen“ und der damit verbundenen Konzepte ist ein Ansatz, der angesichts des Wachstums anderer analytischer Blickwinkel oft übersehen wurde. Für viele liegt das Problem der Islamischen Republik in ihrer fehlenden gleichberechtigten und rechtsstaatlich orientierten Haltung gegenüber Menschen, die durch modernes Denken zu Bürgern geworden sind. Doch nur wenige stellen die Frage, wie dieser Mangel im Zusammenhang mit der Gründungsidee der Islamischen Republik als Staat steht.
Indeterminiertheit
Die Islamische Republik, ein System, das aus der Verschmelzung von linksideologischen und islamistischen Strömungen hervorgegangen ist und auf den Grundsätzen der Scharia basiert, befand sich von Beginn an in einem unlösbaren Spannungsfeld zwischen zwei Ansätzen zur Frage des Staates und seiner territorialen Identität. Der erste Ansatz strebte die Gründungsidee eines modernen Staates an, der sämtliche Voraussetzungen eines solchen erfüllen sollte: eine politisch und institutionell gefestigte Gesellschaft, die über eine „Rechtspersönlichkeit“ verfügt und von anderen als eine eigene, unterscheidbare Entität anerkannt wird. Dies erfordert jedoch eine Vielzahl von Konzepten, die die Grundlagen ansprechen, die in der Rechtswissenschaft als selbstständige Disziplin möglicherweise nicht direkt zu finden sind.
Ein moderner Staat muss innerhalb eines territorialen Rahmens Gestalt annehmen, um sich zu verwirklichen und zu definieren. Nach seiner Gründung entwickelt er, unabhängig von seinen drei Grundelementen (Territorium, politische Autorität und Bevölkerung), eine eigene Identität. Seit dem Westfälischen Frieden erkennt das Völkerrecht eine solche politische Einheit an, wodurch sich staatliche Akteure auf der politischen Bühne voneinander unterscheiden. Seitdem sind Nationalstaaten die eigentlichen Träger des politischen Handelns. Ihr herausragendes Merkmal im Innern ihres Herrschaftsbereichs (im innerstaatlichen Recht) ist die „Souveränität“, die als einzig wahre und endgültige Instanz gilt, während sie sich im Außenbereich (im Völkerrecht) auf die Gleichheit der Souveränität stützen. Das System, das aus dem Westfälischen Frieden hervorging, stellt einen rechtlichen Überbau dar, der auf eine besondere philosophische und erkenntnistheoretische Grundlage verweist: die Verwerfung eines aus ‚absoluter‘ Wahrheit hervorgegangenen Denkens bei der Bildung politischer Einheiten sowie die Befreiung der Politik von jedem wertebasierten, unverhandelbaren Fundament. In diesem Sinne, nach einer Epoche, in der das politische Handeln – das heißt der Konflikt und die Differenzierung – noch auf einer metaphysischen und „apokalyptischen“ Grundlage fußte, in der religiöse Institutionen die Herrschaft beanspruchten, wird der Konflikt von jeglichem absoluten und endgültigen Inhalt befreit.
Dieser Wandel kennzeichnet die Umwandlung des Feindes oder Konkurrenten im politischen Handeln von einem anderen, der vom ‚wahren‘ Weg abgeirrt ist und daher oder transformiert vernichtet werden muss, hin zu einem temporären Anderen, mit dem um Interessen konkurriert wird – wobei jedoch grundlegende Standards der Fairness (Völkerrecht) anerkannt werden müssen. Das Prinzip der Gleichheit der Staaten im Völkerrecht stellt das Ergebnis dieser tiefgreifenden erkenntnistheoretischen Wandlung dar.
Die Islamische Republik ist ein auf der Scharia basierendes System, das sich zwar von den Fesseln der sogenannten traditionellen schiitischen politischen Rechtslehre gelöst und sich klug an eines der zentralen Elemente des Herrschaftsbegriffs in seinem modernen Sinne – die Einheit politischer Macht – angepasst hat, aber weil sie die absolute Herrschaft des Rechtsgelehrten erfand, die sich hartnäckig jeder Form moderner Erkenntnistheorie widersetzt, kann sie das Prinzip der Gleichheit in ihrer Grundlage nicht akzeptieren.
Die Islamische Republik ist ein politisches System, das primär und aus seinem eigenen Wesen heraus gegründet wurde, um die Vorschriften der islamischen Scharia durch den ausschließlichen Einsatz von Gewalt umzusetzen. In diesem Bestreben gelingt es ihr auch, zumindest einen Teil ihrer ehemaligen Verbündeten, die Linken, durch die Verstaatlichung der Wirtschaft zu integrieren. Sollte die Regierung nicht die Verantwortung für die langfristige, stabile und offizielle Regelung der kontinuierlichen gesellschaftlichen Konflikte tragen, sondern vielmehr als Instrument zur Durchsetzung einer metaphysischen und religiösen Überlegenheit fungieren, verliert der Grundsatz der Gleichheit der Staaten im Völkerrecht seine Bedeutung.
Aus Sicht der Islamischen Republik ist ein Land keine unabhängige politische Einheit mit eigener Rechtspersönlichkeit, sondern lediglich eine territoriale Basis. Diese eroberte Basis dient der Schaffung einer politischen Einheit, die auf einem vereinheitlichenden ideellen Prinzip beruht.
Die Unvereinbarkeit des modernen Staates mit islamischer Theorie
Was die Islamische Republik seit Jahren als theoretische Krise mit sich trägt, hat Wael B. Hallaq in seinem Werk The Impossible State: Islam, Politics, and the Morality of Modernity prägnant dargelegt. Hallaq erläutert, dass die islamische Herrschaft ihre eigenen moralischen, rechtlichen, politischen, sozialen und metaphysischen Grundlagen besitzt, die sich in auffälliger Weise von denen des modernen Staates unterscheiden. Nach Hallaq ist die Umma (Gemeinschaft der Gläubigen) der direkte Ersatz für die Nation im modernen Staatskonzept. Innerhalb dieser Umma existiert einheitliche ethische Normen, oder präziser gesagt, die ethisch-rechtlichen Prinzipien, die das Leben der Umma bestimmen. So wird die Scharia als paradigmatisches Gesetz angewandt, das alle sozialen und politischen Sphären durchdringt. Im Gegensatz zum modernen Staat, dient in der islamischen Herrschaft die Gesellschaft oder Umma lediglich als Mittel zur Verwirklichung eines höheren göttlichen Ziels. Dies bedeutet, dass die Umma nicht über eine eigenständige Souveränität verfügt und keinen selbstbestimmten rechtlichen oder politischen Willen besitzt, da der wahre Herrscher allein Gott ist. In der islamischen Herrschaft ist Gott der alleinige Souverän, und nur er übt Macht aus. Die Umma setzt sich aus Gläubigen zusammen, die in ihren Werten vereint sind und vor Gott gleich sind. Es gibt keinen Unterschied zwischen ihnen in Bezug auf Herkunft, Rasse oder Religion; das einzige Kriterium für Überlegenheit ist die Frömmigkeit und die Qualität ihrer religiösen Überzeugungen. In diesem politischen System hat Gott die absolute Souveränität. Er ist das höchste Ziel, und das Gesetz Gottes, die Scharia, repräsentiert seinen moralischen Willen.
Die Scharia ist mehr als nur ein Gesetzeswerk: Sie bildet ein komplexes System, das als hermeneutisches, erkenntnistheoretisches, theoretisches, praktisches, bildendes und institutionelles System funktioniert. Dieses System wird als islamisches Recht bezeichnet, das eine umfassende Struktur zur Schaffung eines ethisch-rechtlichen Imperiums bildet, dessen grundlegendes Ziel und Struktur in einem unaufhörlichen Streben nach der Entdeckung des moralischen Willens Gottes zusammengefasst sind. (1)
Aus diesem Grund argumentiert Hallaq an anderer Stelle, dass Denker in der islamischen Welt oft zwischen der “ontologischen Realität des Staates” und der “moralischen und pflichtbewussten Notwendigkeit einer Herrschaft auf der Basis der Scharia” hin- und hergerissen sind. (2)
In seinem Werk erklärt Hallaq weiter, dass der Versuch, ein islamisches Herrschaftsmodell im Rahmen eines modernen Staatsmodells umzusetzen, gescheitert ist, da die sozialen Strukturen der muslimischen Gesellschaften nicht in der Lage waren, diese Form der Regierung zu akzeptieren. Eine solche Struktur entsprach grundsätzlich nicht der Realität islamischer Gesellschaften.
Hallaq analysiert das Scheitern der islamischen Revolution im Iran aus dieser Perspektive und erklärt, dass die Normen islamischer Herrschaft im Rahmen des Nationalstaates oder des Staates als politische Einheit sowohl zum Scheitern der islamischen Herrschaft führten als auch die Vision eines modernen Staates als politische Entität vereitelten (3).
Islamischer Politik in der Verfassung
Die Analyse von Hallaq sollte mit größter Ernsthaftigkeit betrachtet werden. Der wichtigste Versuch von Muslimen, ein politisches System auf der Grundlage islamischer Lehren und der Scharia zu schaffen, ist das Regime der Islamischen Republik im Iran. Gemäß dem klaren Wortlaut ihrer Verfassung liegt die Souveränität bei Gott. Immer wieder wird in der Präambel dieser politischen Verfassung der Begriff „Islamische Umma“ verwendet. Obwohl Präambeln üblicherweise keinen rechtlichen Stellenwert haben, spielen sie eine zentrale Rolle für das Verständnis der Ausrichtung des politischen Regimes. Ein Beispiel aus dem ersten Satz der Präambel verdeutlicht dies: „Die Verfassung der Islamischen Republik Iran definiert die kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Institutionen der iranischen Gesellschaft auf Grundlage islamischer Prinzipien und Vorschriften, die den tiefsten Wunsch der islamischen Umma widerspiegeln.“ Ebenso in der Sektion „Die Regierungsweise im Islam“, in der es heißt: „Die islamische Regierung beruht nicht auf einer Klassengesellschaft und individueller oder gruppenbasierter Herrschaft, sondern ist die Verkörperung des politischen Ideals einer gemeinschaftlich gläubigen und gleichgesinnten Nation.“ Noch deutlicher wird dies im Abschnitt, der offen das ultimative Ziel formuliert: Die Bildung einer einheitlichen globalen Umma! „Die Verfassung legt die Grundlage für die Fortführung der Revolution sowohl im Inland als auch im Ausland und strebt insbesondere die internationale Ausweitung der Beziehungen zu anderen islamischen und populären Bewegungen an, um den Weg zur Bildung einer vereinten globalen Umma zu ebnen.“
Im Abschnitt über die „Ideologische Armee“ werden die Armee und die Revolutionsgarden nicht nur mit der „Bewachung und Verteidigung der Grenzen“ betraut, sondern auch mit der ideologischen Mission, nämlich dem Dschihad für Gott und dem Kampf zur Verbreitung der Herrschaft von Gottes Gesetz in der Welt. Diese Präambel beschreibt auch die Exekutive als von besonderer Bedeutung im Hinblick auf die „Durchsetzung islamischer Gesetze und Vorschriften“. Dieses Manifest und seine Einbettung in moderne rechtliche Konzepte, Institutionen und Strukturen ist erstaunlich. Doch in den eigentlichen Artikeln der Verfassung, die die Grundlage des rechtlichen Systems bilden, werden diese Konzepte und Aussagen zu verbindlichen, vollstreckbaren rechtlichen Normen.
Abgesehen von den ersten drei Artikeln, die gewissermaßen eine Wiederholung und Formulierung der Konzepte und Aussagen der Präambel darstellen, legt der vierte Artikel als übergeordneter Artikel für alle anderen Artikel der Verfassung sowie für alle verabschiedeten Gesetze und Vorschriften fest, dass auch die anderen Artikel der Verfassung an diesem Artikel gemessen werden. Der übergeordnete Artikel besagt, dass alle zivilen, strafrechtlichen, finanziellen, wirtschaftlichen, kulturellen, militärischen und politischen Gesetze und Vorschriften den islamischen Grundsätzen entsprechen müssen.
Dieser Grundsatz gilt als Maßstab für alle anderen Artikel der Verfassung sowie für alle bestehenden Gesetze und Vorschriften, und die Überprüfung obliegt den Gelehrten des Wächterrats.“
Tatsächlich basieren die Gesetze der Islamischen Republik auf der Scharia. Diese Grundlage bedeutet, dass sie entweder Bereiche betreffen, in denen die Scharia direkte Bestimmungen trifft, wie zum Beispiel das Strafrecht, das mit dem islamischen Strafgesetzbuch das vorherige allgemeine Strafgesetz vor der islamischen Revolution ersetzt hat, und in dem Hadd, Qisas und Diya1 als islamische Strafen eingeführt wurden, oder sie betreffen Bereiche, zu denen die Scharia keine konkreten Aussagen trifft. In diesem Fall dürfen die Gesetze nicht im Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien und Regeln der Scharia stehen.
Die Feststellung dieser Widersprüche und die Wahrung der Scharia-Grenzen obliegen den Gelehrten des Wächterrats. Interessanterweise ist derselbe Rat, der zusammen mit seinen Rechtsgelehrten auch für die Auslegung der Verfassung verantwortlich ist, auch für die Feststellung des Interesses des Systems‘ zuständig. Letzteres ist eine Erfindung des islamischen Regimes, die darauf abzielt, das islamische Recht an die Bedürfnisse und Anforderungen einer modernen Regierungsführung anzupassen. Dieser Rat wurde eingerichtet, um Lösungen im Rahmen der islamischen Rechtsdoktrin zu finden, wenn die Durchsetzung islamischer Gebote auf Hindernisse stößt, die durch die Bedingungen der Regierungsführung entstehen. Solche Fälle werden in der islamischen Rechtswissenschaft mit Begriffen wie ‚Notwendigkeit‘ oder ‚Schwierigkeit und Drang‘ bezeichnet.
Ein äußerst wichtiger Punkt, der sich aus der Analyse des vierten Artikels der Verfassung der Islamischen Republik Iran ergibt, ist der feine und tiefgründige Zusammenhang zwischen den Gesetzen und der politischen Einheit.
Der Adressat des modernen Gesetzes sind die Bürger, die als Teil einer politischen Einheit des Nationalstaates betrachtet werden. Der Adressat der Scharia hingegen sind diejenigen, die einer bestimmten Ideologie unterworfen sind.
Es ist in der Tat korrekt, dass die Bildung einer politischen Einheit in den rechtlichen und politischen Theorien analytisch vor der Schaffung von Gesetzen steht. Andererseits könnte man jedoch auch sagen, dass Gesetze durch die Bestimmung ihrer Untertanen auf eine bestimmte politische Einheit verweisen. Mit anderen Worten: Indem Gesetze ihre Untertanen definieren, implizieren sie die politische Einheit, die für ihre Ausführung erforderlich ist. Der Adressat der Scharia ist die islamische Umma.
Daher ist es nicht unbegründet, wenn man sagt, dass alles, was Hallaq über die Unterscheidung zwischen islamischer Herrschaft (die auf der Scharia beruht) und der politischen Einheit des modernen Staates darzulegen versuchte, im vierten Artikel der Verfassung der Islamischen Republik zusammengefasst ist.
Neben diesem Artikel enthält die Verfassung der Islamischen Republik auch weitere Bestimmungen, die uns auf das „Umma-Prinzip“ hinweisen. So heißt es im fünften Artikel: „In der Zeit der Abwesenheit des zwölften Imams der Schiiten, Al-Mahdi, liegt die Führung der Umma in der Hand eines gerechten, frommen, zeitbewussten, mutigen, fähigen und weitsichtigen Rechtsgelehrten, der gemäß Artikel 107 dieses Amt übernimmt.“ Die Bedeutung dieses Artikels liegt darin, dass wir erkennen, dass gemäß dieser Verfassung der Oberste Rechtsgelehrte (Velâyat-e Faqih) nicht nur das Staatsoberhaupt ist, sondern auch die Exekutive leitet (Artikel 113). Das Staatsoberhaupt ist in politischen Systemen und im Verfassungsrecht das Symbol und die Verkörperung der politischen Einheit. Doch für dieses Amt verlangt die Verfassung der Islamischen Republik sogar nicht einmal die iranische Staatsbürgerschaft (während der iranischen Abstammung eine Voraussetzung für das Amt des Präsidenten darstellt).
In Anbetracht der Tatsache, dass der Führer der Islamischen Republik auch der Oberbefehlshaber aller Gewalten ist, sowie unter Bezugnahme auf die Präambel der Verfassung und einige Artikel dieser sowie den „Geist des Gesetzes“, scheint es, dass das Fehlen dieser Bedingung für ihn, entgegen der Meinung einiger Rechtsgelehrter, die dem reformistischen Flügel dieses Systems nahestehen, keine Nachlässigkeit, sondern vielmehr eine bewusste Entscheidung war.
Daher ist das Staatsoberhaupt, das die politische Einheit verkörpert, die durch die Verfassung der Islamischen Republik geschaffen wurde, der Imam der islamischen Umma. Neben diesen beiden Artikeln gibt es noch andere Bestimmungen, die eindeutig Umma-orientierte Inhalte enthalten. Ein Beispiel dafür ist die Erwähnung des juristischen Begriffs „Anfal“ im 45. Artikel, der als öffentliches Eigentum verstanden wird (dieser Begriff beschreibt Eigentum, das nicht im Besitz einer bestimmten Person ist, sondern für die Nutzung der Allgemeinheit bestimmt ist, wobei der Staat als Vertreter der Bürger für seine Verwaltung verantwortlich ist). Doch in einem islamischen System entscheidet über die Verwendung dieses Eigentums ausschließlich der islamischen Herrscher, also der Oberste Rechtsgelehrte (Velâyat-e Faqih).
Auch Artikel 64 der Verfassung enthält eine bemerkenswerte Bestimmung. Als abschließendes Thema dieses Abschnitts lohnt es sich, diesen Artikel näher zu betrachten, da er mitten in den Regelungen zur Legislative ein eindeutiges Beispiel dafür liefert, wie das Umma-Prinzip das politische System prägt. Dieser Artikel besagt: „Die Zahl der Abgeordneten der Islamischen Ratsversammlung beträgt zweihundertsiebzig. Ab dem Jahr 1989, nach jeder Volksabstimmung, können unter Berücksichtigung von demografischen, politischen und geographischen Faktoren maximal zwanzig weitere Abgeordnete hinzugefügt werden. Zoroastrier und Juden wählen je einen Abgeordneten, während die Assyrischen und Chaldäischen Christen gemeinsam einen Abgeordneten wählen, ebenso die armenischen Christen aus dem Süden und Norden, die je einen Abgeordneten wählen. Die Wahlkreise und die Anzahl der Abgeordneten werden durch das Gesetz bestimmt.“
Zu Beginn des Artikels wird die Grundlage für die Zuteilung der Abgeordneten, wie in den meisten parlamentarischen Wahlsystemen in einfachen und zusammengesetzten Staaten, durch geografische Faktoren definiert. Im zweiten Teil des Artikels werden jedoch religiöse Minderheiten, (deren Anerkennung auf nur drei Gruppen beschränkt ist, während der Rest als „rechtlos“ betrachtet wird,) ebenfalls geografischen Einheiten zugeordnet. Dadurch wird festgelegt, dass ein zoroastrischer oder jüdischer Bürger Irans nicht mehr als den ihm durch das Gesetz zugewiesenen Anteil an einem der Wahlkreise, zum Beispiel in der Provinz Isfahan, beanspruchen kann. Diese empörende Trennung und die noch unmoralischere Darstellung als „Schutz der Rechte religiöser Minderheiten“ lassen eindeutig die Struktur eines politischen Systems erkennen, das von religiösen Minderheiten eine „Jizya“-Steuer erhebt – eine Praktik, die in der islamischen Geschichte mit Demütigung und Unterdrückung verbunden ist.
Schlussgedanken
Das Eingangszitat dieses Textes stammt von Mohammad-Hossein Tabatabai. Abgesehen von den Islamisten, die den Islam des verstorbenen Gelehrten „verzerrten“, verfolgen einige der säkularen Unterstützer, insbesondere aus dem linken Spektrum, (und tatsächlich auch die Akteure) der Revolution von 1979 sowie spätere Gegner der Islamischen Republik, ihre Ablehnung dieses politischen Regimes aus einer weltbürgerlichen Perspektive und im Namen des „Menschen an sich“, unabhängig vom Konzept der Staatsbürgerschaft – eine politische Ablehnung mit einer Prise Ablehnung der Politik!
Doch in diesem Zusammenhang lassen Sie uns mit Bezug auf das Werk von Mortaza Motahari, einem Schüler des verstorbenen Tabatabai und Ideologen der Islamischen Republik, diesen Text abschließen: „Die gegenseitigen Dienste von Islam und Iran!“ Iran als „Basis“ für die Bildung der islamischen Umma – ein Land, das anstelle von „Verwaltung“ durch Vertreter der schiitischen Ideologien zur Verwirklichung ihrer Überzeugungen „verbraucht“ wurde.
Fußnoten
- Hallaq, Wael. The Impossible State: Islam, Politics, and Modernity’s Moral Predicament.
- Moradi Beryan, Mehdi et al. „The Impossible State: A Critical Reading of Hallaq’s Theory of the Islamic State’s Impossibility“, Journal of Public Law Research, Jahr 19, Heft 58, Frühling 2018, S. 81–112. Es sei darauf hingewiesen, dass der besagte Artikel die Theorie von Hallaq aus einer neo-kantianisch-rechtsphilosophischen Perspektive der Menschenrechte kritisiert.
- Hallaq, Wael. The Impossible State: Islam, Politics, and Modernity’s Moral Predicament.
- Hadd, Qisas und Diya sind Konzepte des islamischen Strafrechts, bei denen Hadd Strafen für bestimmte Verbrechen festlegt, Qisas auf Vergeltung basiert und Diya als Entschädigung für das Opfer dient. ↩︎