
1979: Widerstand gegen wirtschaftliche Entwicklung
Die Islamische Revolution im Iran kann mit Fug und Recht, als eine reaktionäre Revolution bezeichnet werden, die sich in direktem Widerspruch zu den Prozessen der Modernisierung, Industrialisierung und Entwicklung stellte. Anders ausgedrückt, war die Islamische Revolution eine zutiefst radikale und rückschrittliche Reaktion auf die fortschrittlichen Veränderungen, die in zwei prägnanten Phasen vollzogen wurden:
- Die erste Phase nahm ihren Anfang mit der Konstitutionellen Revolution von 1906 und insbesondere der Zweiten Revolution von 1909.
- Die zweite Phase begann im Jahr 1921 mit dem Machtantritt Reza Shah Pahlavis in die iranische Politik und mündete schließlich 1925 in der vom Parlament beschlossenen Ablösung der Kadschar-Dynastie und seiner Thronbesteigung.
Während dieser beiden Phasen wurde die Rolle des Klerus in der Verwaltung des Landes, insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Justiz, schrittweise reduziert. Gleichzeitig wurde die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung des Landes, besonders unter Reza Schah, mit großer Intensität vorangetrieben. Diese Entwicklung führte dazu, dass der Klerus nicht nur aus der Politik, sondern zunehmend auch aus dem gesellschaftlichen Leben verdrängt wurde.
Infolgedessen entstand allmählich ein Gefühl der Marginalisierung sowohl unter den marxistisch-leninistischen Gruppen, die vom sowjetischen Modell beeinflusst waren, als auch unter den religiösen Führern, was schließlich zu einem Bündnis gegen das modernisierende Pahlavi-Regime führte.
Mit dem Erfolg der Islamischen Revolution am 11. Februar 1979 übernahmen im Wesentlichen die Gegner der Modernisierung und Entwicklung die Kontrolle über das Land. Um den seit der Konstitutionellen Revolution eingeschlagenen Modernisierungspfad, der unter den Pahlavi-Monarchen weiter intensiviert worden war, zu unterbrechen, wandten sich die neuen Machthaber als Erstes gegen die Ordnung des Nationalstaats. Stattdessen ersetzten sie diese durch eine vormoderne und rückschrittliche Ordnung, die auf dem Prinzip des Imam-Umma-Systems basierte.
- Die Verpflichtung des Herrschers, dem Heimatland und seinen Bürgern zu dienen, wurde durch die uneingeschränkte Autorität des Wali-e Faqih, des obersten religiösen Führers, ersetzt.
- Die nationalen Ressourcen des Landes wurden zu bloßen Rohstoffen für die islamistische Expansion in andere Länder umgewandelt.
- Die Bevölkerung wurde nicht länger als Staatsbürger, sondern als gläubige Untertanen der religiösen Autorität betrachtet.
Diese neue Ideologie machte die Iraner in bloße Werkzeuge und treibende Kräfte für die Zerschlagung von Nationalstaaten – nicht nur im Iran selbst, sondern auch in anderen Ländern wie Palästina, Libanon, Irak, Syrien und Jemen. Dieses Prinzip ist in der Verfassung der Islamischen Republik Iran eindeutig verankert, insbesondere in Artikel 154, der festhält:
„Die Islamische Republik unterstützt den gerechten Kampf der Unterdrückten gegen die Unterdrücker an jedem Ort der Welt“, wobei mit „Unterdrückten“ alle islamistischen Extremistengruppen gemeint sind – von Hamas und Islamischem Dschihad in Palästina über die Hisbollah im Libanon, die Ansarullah (Huthi-Rebellen) im Jemen, die Hashd al-Schaabi im Irak bis hin zur Terrororganisation al-Qaida.
Auf diese Weise wurde der schnelle Modernisierungs- und Entwicklungsprozess im Iran, der in den 1960er Jahren mit der Durchführung der Landreform und der „Weißen Revolution“1 das Land völlig transformierte und es zu einem der vielversprechendsten Entwicklungsländer machte – so sehr, dass selbst Länder wie Südkorea versuchten, das iranische Modell nachzuvollziehen – gestoppt und schließlich in eine völlig entgegengesetzte Richtung geführt.
Die politischen Akteure und Prediger der Islamischen Republik betonten wiederholt, dass sie das Konzept des Nationalstaates ablehnen und dass das Ziel der Islamischen Republik nicht das Wohlergehen und die Entwicklung der Menschen sei, sondern vielmehr die Schaffung der Voraussetzungen für das Erscheinen des zwölften Imams der Schiiten, die Grundlage für die Entstehung einer islamischen Zivilisation und letztlich die Erlösung der Menschen im Jenseits. In diesem Kontext vertrat Ayatollah Khomeini, der Gründer der Islamischen Republik:
„Heimatverbundenheit ist die Wurzel des Unglücks der Muslime. Denn diese Heimatliebe führt dazu, dass das iranische Volk gegen andere muslimische Völker und das irakische Volk gegen weitere ausgespielt wird. Dieser Plan wurde von den Kolonialmächten absichtlich geschürt, um die Vereinigung der Muslime zu verhindern. (1)
Ein weiteres Beispiel liefert Ayatollah Mesbah Yazdi, einer der einflussreichsten Ideologen der Islamischen Republik, der folgendermaßen erklärte:
„Wir müssen mit Bedacht handeln, denn jene, die an die Spitze der Regierung gelangen, haben den Islam an erste Stelle zu setzen – nicht ihre iranische Identität. Wer den Slogan ‚Iran‘ verwendet, sollte sich bewusst sein, dass auch die Bahai2 diesen Slogan in der Vergangenheit erhoben. Haben sie nicht einst ‚Weder Gaza noch Libanon‘ gerufen? Wenn heute jemand eine Parole jenseits des Islams verkündet, muss er erkennen, dass für uns nichts dem Islam ebenbürtig ist.“ (2)
Ein weiteres, aktuelles Beispiel liefert Meysam Latifi, Stellvertreter von Ebrahim Raisi, dem verstorbenen Präsidenten der Islamischen Republik. Er erklärte:
„Es kommt vor, dass wir auf durchaus berechtigte Theorien zurückgreifen, doch in der praktischen Umsetzung bleibt oft der Erfolg aus. Im Gegensatz zum westlichen Modell, das die Regierungsführung auf dem Konzept des Nationalstaates stützt, haben wir grundsätzliche Probleme mit diesem Ansatz. Für uns bleibt die Kernfrage der Imam und die Umma.

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Auch in Bezug auf Entwicklung, Wohlstand und Wirtschaft vertreten die Führer der Islamischen Republik Standpunkte, die ihre ablehnende Haltung gegenüber gesellschaftlichem Wohlstand unmissverständlich zum Ausdruck bringen. So erklärte Ayatollah Ali Khamenei, der gegenwärtige Führer der Islamischen Republik, in seiner „Zweiten Phase der Revolution“-Erklärung:
„Die Wirtschaft ist nicht das Ziel einer islamischen Gesellschaft, sondern vielmehr ein Mittel, ohne das die höheren Ziele nicht erreicht werden können. Die Revolution muss ihrem Ideal nähergebracht werden – der Schaffung einer neuen islamischen Zivilisation und der Vorbereitung auf das Erscheinen des großen Imams.“ (4)
Ein weiteres Beispiel bietet Ayatollah Alam al-Hoda, einer der einflussreichsten Geistlichen der Islamischen Republik, der von Ayatollah Khomeini zum Vertreter des obersten Führers in der Provinz Razavi-Chorasan ernannt wurde. Auch er äußerte sich in ähnlicher Weise:
„Die Entwicklung des Wohlstands im Leben entspricht nicht der islamischen Perspektive. Wenn wir die religiösen Konzepte betrachten, erkennen wir, dass der Koran diejenigen, die nach Wohlstand streben, als „Motraf“ bezeichnet. In der gesegneten Sure al-Waqia wird von den ‚Leuten der Linken‘ gesagt, dass sie, ehe sie ins Jenseits übertreten, in dieser Welt wohlhabend waren“ (5). „Motraf“ bezeichnet in seiner lexikalischen sowie terminologischen Bedeutung die Verwirklichung von Wohlstand und wirtschaftlicher Entwicklung.
„Seit den Anfängen der Revolution vertreten viele die Ansicht, dass, wenn das Land Sicherheit und Wohlstand gewährt, die Menschen das Leben genießen und in Freiheit ihre Gelüste ausleben können, das Land zu einem Modell für andere wird und dies zugleich zur Förderung des islamischen und des Velayat-Systems beiträgt.“ (6)
In den 46 Jahren seit der Islamischen Revolution verschlechterten sich die Infrastrukturen, die noch aus den 1960er- und 1970er-Jahren stammten, zusehends, obwohl Iran in dieser Zeit zeitweise beachtliche zweistellige Wirtschaftswachstumsraten erzielte. Doch anstatt der Grundlage für den nationalen Wohlstand weiter zu festigen, verlegte die Islamische Republik ihren gesamten Fokus sowie das gesamte Staatsbudget auf die Verbreitung des islamischen
Fundamentalismus innerhalb des Landes. Im Zuge dieses ideologischen Kurses war die Regierung zunehmend nicht mehr in der Lage, den grundlegenden Bedarf der Bevölkerung an essenziellen Ressourcen wie Wasser, Strom und Gas zu sichern.
Zudem führte die Politik der Selbstversorgung im Bereich landwirtschaftlicher Produkte – eine Reaktion auf die erlebten Sanktionen und die Angst vor ausländischer Abhängigkeit – zu der Produktion minderwertigen Benzins und wasserintensiver Agrarprodukte von fragwürdiger Qualität. Diese Fehlstrategien verschärften nicht nur die Luftverschmutzung, sondern führten auch zu einer weitreichenden Zerstörung der Grundwasserreserven und verursachten in mehreren Landesteilen gravierende Bodensenkungen.
Seit der Revolution von 1979 erlebte Iran nie wieder Wirtschaftswachstumsraten im zweistelligen Bereich. Stattdessen begleiteten Inflation und hohe Arbeitslosigkeit das Land als konstante Last. Verantwortlich dafür war die zunehmende Missachtung fachlicher Expertise und die bevorzugte Belohnung ideologischer Loyalität gegenüber tatsächlicher Qualifikation. Das Resultat dieser Fehlentscheidungen war der kontinuierliche wirtschaftliche Rückstand Irans im Vergleich zu seinen Nachbarländern, das Schrumpfen der Mittelschicht, der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und der dramatische Verfall der nationalen Währung – ein US-Dollar hat inzwischen einen Wert von über 800.000 Rial erreicht. Gleichzeitig gehören die gesetzlichen Mindestlöhne für iranische Arbeiter zu den niedrigsten in der gesamten Region.
Während Staaten wie Südkorea, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei in dieser gleichen Epoche einen beispiellosen Weg der Entwicklung und Modernisierung beschritten, hat sich der Iran von einer Nation, die in den 1950er Jahren als wirtschaftlicher Hoffnungsträger der Region galt, zu einem Land gewandelt, dessen Bürger mit den drängendsten Herausforderungen des täglichen Lebens kämpfen – der Sicherstellung ihrer grundlegenden Bedürfnisse. Der dramatische Verfall der nationalen Währung, die ungebremste Inflation, das drohende Versiegen der Wasserressourcen, die verheerende Zerstörung der Umwelt sowie die unaufhaltsame Ausbreitung von Armut und Korruption sind nur einige der tragischen Ergebnisse einer Regierung, die sich von Wissenschaft und Erfahrung abwandte und den Bedürfnissen und dem Wohl des Volkes keinen Raum ließ.
Inmitten dieser düsteren Realität sehen sich die Generationen, die in den letzten Jahrzehnten geboren wurden, mit einer Zukunft konfrontiert, die in einem Nebel des Ungewissen verhüllt ist. Dennoch stellt sich die grundsätzliche Frage: Kann der Iran trotz der vielen auferlegten Rückschläge den Weg des Fortschritts erneut einschlagen? Oder wird er in einem endlosen Kreislauf zwischen Ideologie und Realität gefangen bleiben?
Lenzlich wird die Zeit die Antwort darauf geben – und vor allem der Wille des Volkes.
Quellen:
- https://www.mashreghnews.ir/amp/352533
- https://fararu.com/fa/amp/news/507173
- http://emam.com/posts/view/20454/ملّیگرایی-اساس-بدبختی-مسلمین-است
- رهبر معظم انقلاب در بیانیه «گام دوم انقلاب»: اقتصاد هدف جامعه اسلامی نیست، امّا وسیلهای است که بدون آن نمیتوان به هدفها رسید / در مورد آمریکا حلّ هیچ مشکلی متصوّر نیست / دولت باید مرزبندی خود را با دولت های اروپایی با دقّت حفظ کند / باید انقلاب را به آرمان بزرگش یعنی ایجاد تمدّن نوین اسلامی و آمادگی برای طلوع خورشید ولایت عظمی نزدیک کنید | سایت انتخاب
(https://www.entekhab.ir/001vRk) - آیت الله علم الهدی: توسعه رفاه مورد تأیید اسلام نیست – مشرق نیوز
(https://www.mashreghnews.ir/amp/352533/) - آیت الله علم الهدی: توسعه رفاه مورد تأیید اسلام نیست – مشرق نیوز
(https://www.mashreghnews.ir/amp/352533/)
- Die Weiße Revolution war ein Reformprogramm des iranischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi ab 1963. Sie sollte das Land modernisieren und umfasste Landreformen, Frauenrechte, Bildungsförderung und Industrialisierung. Während sie wirtschaftlichen Fortschritt brachte, führte sie auch zu Widerstand – besonders von Geistlichen und Großgrundbesitzern – und trug später zur Islamischen Revolution von 1979 bei. ↩︎
- Die Bahai-Religion ist eine monotheistische Glaubensrichtung, die im 19. Jahrhundert im Iran entstand. Ihr Gründer, Baha’u’llah, lehrte die Einheit aller Religionen, Gleichberechtigung und den Frieden der Menschheit. Bahai glauben an einen fortschreitenden göttlichen Offenbarungsprozess, in dem verschiedene Propheten (z. B. Moses, Jesus, Mohammed) als Boten Gottes gelten. Heute gibt es weltweit mehrere Millionen Bahai-Anhänger, aber sie werden besonders in Iran von der Islamischen Republik Iran verfolgt, da sie nicht als offizielle Religion anerkannt sind. ↩︎